Nobelpreis
1997 für Chemie an Boyer und Walker ihre Arbeiten über die Biosynthese von ATP
(Artikel von Olaf Fritsche in Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1997,
Seite 20)
[...] Die Gewinnung von ATP
Während die Zelle Energie aufbringen muß, um Ionen gegen ein
Konzentrations- und Potentialgefälle – also gleichsam bergauf – durch eine
Membran zu befördern, kann sie
andererseits Energie gewinnen und in Form von ATP speichern, wenn sie geladenen
Teilchen erlaubt, der auf sie wirkenden Triebkraft zu folgen und gewissermaßen
bergab durch die Membran zu diffundieren. Tatsächlich nutzen Tiere, Pflanzen
und die meisten Bakterien einen Fluß von positiv geladenen Wasserstoff-Ionen
(Protonen), um den größten Teil ihrer Energiemünzen zu prägen. Dazu
verwenden sie das Enzyrn ATP-Synthase - und um dessen Enträtselung haben sich
Boyer und Walker überragende Verdienste erworben.
Während Bakterien üblicherweise
nur über einen einzigen großen Reaktionsraum, nämlich ihr Zellinneres,
verfügen.
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Der F1-Komplex trägt insgesamt drei katalytische Bindungsstellen, die trotz des asymmetrischen Aufbaus alle gleich aktiv sind. Boyer überlegte, wie dieser Widerspruch aufzulösen sei. Dabei fand er heraus, daß die Energie aus dem Protonenfluß nicht für die eigentliche Synthese von ATP aus Adenosindiphosphat (ADP) und Phosphat erforderlich ist, sondern für die Bindung dieser beiden Ausgangsstoffe und für die Freisetzung des Produkts. Werden nämlich ADP und Phosphat in eine lipophile („fettliebende") Umgebung gebracht, verschiebt sich das Gleichgewicht der chemischen Reaktion in Richtung ATP, so daß es sich quasi von selbst bildet. Allerdings muß Energie aufgewandt werden, um die geladenen Ausgangssubstanzen aus dem wäßrigen in das weniger geliebte fettige Milieu zu bringen. Eben dafür sorgt Boyers Meinung nach der Protonenfluß. |
In seinem Modell vom
Wechselbindungsmechanismus [...] lieferte der [...] Biochemiker eine Erklärung
für diese
Fließen Protonen durch den Tunnelkomplex, wird deren Energie in eine
mechanische Bewegung der annähernd axial angeordneten kleinen Gamma-Einheit im
Hexagon des F1-Komplexes umgesetzt. Diese Komponente wechselt dabei
ihre Stellung, wodurch sich die Formen der großen Untereinheiten und damit auch
die Bindungseigenschaften der katalytischen Zentren ändern. Das erste bindet
nun locker ADP und Phosphat, in zweiten ändern sich infolge der Bewegung die
Umgebungseigenschaften für die Reaktionspartner derart, daß sie sich in ihrem
neuen Proteinmilieu ohne weitere Energiezufuhr vereinigen können. Das dritte
Zentrum schließlich öffnet sich und entläßt sein ATP. Der unablässige
Protonenfluß hält diesen Dreitaktmotor auf Touren.
Die Theorie von Boyer wurde durch
die Ergebnisse der Arbeitsgruppe um Walker am Molekularbiologischen Zentrum des
britischen Forschungsrates in Cambridge glänzend bestätigt. Walker hatte
zunächst die Abfolge der Bausteine (Aminosäuren) in einigen Untereinheiten der
ATP-Synthase bestimmt. In Kooperation mit anderen Wissenschaftlern gelang es ihm
schließlich, die dreidimensionale Struktur von großen Abschnitten des F1-Komplexes
zu ermitteln ("Nature", Band 370, Seiten 621 bis 628, 25. August
1994). Ihre bildliche Darstellung beantwortete viele Fragen, über die man bis
dahin nur spekulieren konnte. So war zu erkennen, daß die katalytischen Zentren
fast vollständig in den Beta-Untereinheiten sitzen; auch die
Bindungsverhältnisse unter den drei von Boyer postulierten Zuständen ließen
sich bis ins Detail ablesen.